Textiler Flammschutz

Auch in Deutschland führte uns der Bus-Brand auf der A 9 vor Augen, welche fatalen Wirkungen fehlender oder unzureichender Flammschutz/Brandschutz verursachen kann. Schnell wurden die Rufe nach verbesserten Flammschutzmaterialen in der EU laut. Diese Materialien gibt es, und richtig eingesetzt, wirken sie wie eine Lebensversicherung. Doch wie lange werden wir im Brandschutz noch überhaupt in der Lage sein, das grundsätzlich bestehende hohe deutsche und europäische Schutzniveau für die Bürger aufrecht zu erhalten?

Flammgeschützte, schwerentflammbare Materialien sind vor allem in der Brand-Prävention wichtig und können zudem im Brandfall überlebensentscheidend sein. Daher entstanden über die Jahrzehnte bis heute viele nationale, internationale Flammschutznormen, FR-Standards und gesetzliche FR-Normen, die für unzählige Materialien und Materialkonstruktionen erfüllt werden müssen, um dieses hohe Schutzniveau für die EU-Bevölkerung zu gewährleisten.

Wer in dieser Thematik den Überblick gewinnen möchte, dem sei das „Plastics Flammability Handbook“ mit über 770 Seiten vom Münchener Hanser Verlag empfohlen. Vor allem in der Luftfahrt sind die Anforderungen und Sicherheitsbestimmungen an flammgeschützte textile Innenausstattung, textilbasierende Verbundwerkstoffe, Elektronik etc. äußerst hoch, denn hier wäre ein Blindflug in Sachen Flammschutz besonders fatal.

Viele, die Flammschutz-Grundlagenchemie und deren Zusammenspiel kennen, wissen, dass Flammschutzadditive u. a. die chemischen Elemente Stickstoff, Phosphor, Chlor, Brom, Fluor bzw. Antimon als Flammschutzverstärker enthalten können. Bekannt ist u. a. das synergistische Zusammenspiel zwischen Phosphor und Stickstoff sowie das der Halogene Fluor, Chlor oder Brom mit Antimon/Antimontrioxid. Aufgrund der grundsätzlich eingesetzten Elemente/Verbindungen und der komplexen Flammschutz-Matrix- Mechanismen bzw. der daraus hergestellten Flammschutz-Verbindungen ecken viele Flammschutzprodukte u. a. bei den EU-Umweltbehörden an, obwohl diese für viele Flammschutz-Anwendungen und Materialen unverzichtbar sind. Damit ist schon der maßgebende Zielkonflikt in diesem Bereich umschrieben.

Ein und das gleiche Material kann je nach Oberflächengröße unterschiedlich gut brennen. Aufgrund der grundsätzlichen Funktionsmechanismen der Flammschutzchemie, der gegen unendlich gehenden Anzahl an Materialien, Materialformen, Materialkombinationen und Brandschutznormen, ist die Thematik sowie der Einsatz von Alternativstoffen äußerst komplex. Nicht selten stolperte man schon in der in der Vergangenheit bei den „Alternativstoffen“ in das, was man bei der ECHA heute neudeutsch als „Regretable Substitution“ bezeichnet. Eine „Regretable Substitution“ umschreibt eine scheinbare Stoff-Alternative, die sich bei genauer Betrachtung sowohl in toxikologischer, ökologischer und technischer Hinsicht nicht als vorteilhaft erwies. Daher sind gesetzliche Regulierungen im Flammschutz mit Augenmaß, begleitet von geeigneten Umwelt-Maßnahmen, die bereits flächendeckend in der deutschen Textilindustrie eingesetzt werden, zielführender, um Emissionen bei der Verwendung, Produktion und Entsorgung zu minimieren, als ein reines Diktat über Stoffverbote.

Es „brennt“ aber so langsam richtig beim Flammschutz in der EU und das Textilsegment ist dabei keine Ausnahme. Borverbindungen, die Verbindung DECA-Brom, Chlorparaffine in Beschichtung sind bereits unter REACH reguliert bzw. alsbald verboten. Auch bereits beschlossene REACH-Restriktionen in der Fluorchemie tangieren den Flammschutz. Weitere Restriktionen bahnen sich über die mögliche SVHC-Listung von Dechlorane PlusTM (DP), einem der wenigen Flammschutzmittel für Polyamidwerkstoffe, wie textilbasierende PA-Organobleche für den Automobilbau der Zukunft an. Für den textilen Arbeitsschutz und Personenschutz sind nicht-brennbare Aramid-Hochleistungsfasern wie Aramide unverzichtbar. Aramide werden aber aus Lösemitteln gesponnen die SVHC-Stoffe sind und gerade auch anderweitig unter REACH reguliert werden, was deren Produktion in der EU ggf. unmöglich machen würde. Was die Lage zudem verschärft ist, dass je nach kommendem Grenzwert und Geltungsbereich für diese SVHC-Lösemittel im noch laufenden REACH-Schnell-Restriktionsverfahren für körpernahe Textilien nach REACH Art 68/2 der Flammschutz bei PSA-Schutztextilien massiv tangiert werden kann. Ist EU-Schutzbekleidung für die vielen freiwilligen Feuerwehrhelfer ohne schützende Flammschutzfunktion eine Zukunftsperspektive solcher Stoff-Regulierungen die man in Kauf nehmen möchte? Auch indirekt über das seit 2014 neu REACH/CLP-eingestufte Formaldehyd, das als Reaktivkomponente bei bestimmten Phosphorverbindungen für eine waschpermanente Anbindung des Flammschutzes auf Baumwolle sorgt, sind so im laufenden REACH-Schnell-Restriktionsverfahren für körpernahe Textilien unter Druck gekommen.

Südwesttextil und VTB haben sich daher auch im Bereich des Flammschutzes fachlich und inhaltlich aufgestellt und begleiten vielschichtig derzeitige EU-Gesetzgebungsverfahren unter REACH. Insbesondere wurden dazu vor den Sommerferien 2017 bezüglich des REACH-Schnell-Restriktionsverfahren für körpernahe Textilien viele Anfragen der EU-Kommission an Euratex durch die Expertise der beiden Verbände sowie den Experten des Gesamtverbands textil+mode und des Verbands Nord-West hinsichtlich der Thematiken Flammschutz, des generellen Geltungsbereiches der Restriktion, vielschichtiger anderer gesetzlicher Rahmenbedingungen, spezifischen Stoffen, Analysemethoden, drohender Stoff-Mehrfachregulierungen etc. ausführlich kommentiert und beantwortet. Der Restriktionsentwurf der EU-Kommission, der schon lange vorliegen sollte, lässt aktuell jedoch immer noch auf sich warten.

Es stellt sich die Frage, was in fünf Jahren mit diesem Restriktionstempo und Vorgehen der ECHA von dem derzeit hohen EU-Schutzniveau im Flammschutz noch übrig bleibt? Wo sind die sicheren Alternativstoffe und Verfahren die überall funktionieren bzw. wer entwickelt diese Alternativen mit welchen EU-Fördergeldern? Es gibt derzeit kein einziges EU-Förderprogramm das spezifisch die Entwicklung von Alternativstoffen fördert.

Es bleibt also zu hoffen, dass die ECHA bei ihren vielschichtigen Regulierungen einen Masterplan im Flammschutz hat, damit es kein Blindflug mit unbestimmten Ziel und Bruchlandung wird. Oder muss die EU-Kommission am Ende gar feststellen, dass mit unzähligen Verboten und Restriktionen auch gleich das hohe EU-Schutzniveau für die Bevölkerung im Flammschutz mitbeseitigt wurde?

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