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REACH: Bispenol A ist SVHC-Kandidatenstoff

Ein Beispiel aus dem Bereich E-Mobilität ist die Entwicklung von GFK-/CFK-Flügeln für die ca. 110 m hohen Off-Shore-Windkraftanlagen aus modernen Hochleistungsbauwerkstoffen. Auch im Flugzeugbau zeigt sich bei den damit gefertigten Komponenten die ganze Leistungsfähigkeit dieser Werkstoffe, wie z. B. beim Flügel des neuen A 350 und vieler weiterer hochsicherheitsrelevanter Bauteile. Entsprechend lange sind die Entwicklungs-, Test- und gesetzlich vorgeschriebenen Zulassungsprozesse und teuer.  

Doch nun werden die Werkstoffe einem ganz anderen Stresstest unterzogen: Gleich zu Beginn dieses Jahres verkündete die ECHA, dass sie den Stoff BPA (Bispenol A) nun doch als SVHC-Kandidaten-Stoff gelistet hat. Damit gelten für BPA auch die entsprechenden Pflichten bezüglich REACH Art. 7 und Art. 33 bezüglich SVHC-Stoffen. Gleichzeitig beabsichtigt die ECHA auch Ethylendiamin als SVHC-Kandidatenstoff zu listen. Das A im Bisphenol A steht für den wohl unverzichtbarsten Grundstoff für die Herstellung von Epoxidharzen. Auch Ethylendiamin findet sich in jedem  Fachbuch für Epoxidharze beim Thema „Aminhärtung“ von Epoxidharzen ganz vorne. Längst sind auch beim BPA die kritischen Bereiche bei der Verwendung von Komponenten, die das reproduktionstoxische BPA freisetzen, wie z. B. im Polycarbonatkunststoff von Säuglingsflaschen, verboten, aber niemand „nuckelt“ mit Verlaub an einem Windrad. Erst Ende letzten Jahres wurde in REACH Annex XVII, Entry 66, die Verwendung von BPA für Thermodruckerpapier geregelt, auch wenn hier die grundsätzliche Gefahr und das eigentliche Risiko wesentlich weiter auseinanderliegen als bei Säuglingsflaschen. 

Doch das sind spezifische Einzelregelungen und keine SVHC-Kandidatenlistung. Die SVHC-Kandidatenliste muss nicht zwanghaft auf die beabsichtigten 500 Stoffe aufgestockt werden. Das EU-Stoffrecht ist ein extrem starker Rechtsbereich und eigentlich dazu gedacht, mögliche Risiken so weit wie möglich zu minimieren, Innovation voranzutreiben und das Recht EU-weit zu harmonisieren. Es ist nicht dazu da, grundsätzlich alles Gefährliche zu verbieten, selbst wenn kein realistisches Risiko besteht. Auch Wasser beinhaltet die grundsätzliche Gefahr, dass man darin ertrinkt. Kein Mensch würde aber auf die Idee kommen, Wasser zu verbieten.

Es stellt sich nun die Frage, welche Zielsetzung die Chemikalienregulierung im Fall BPA verfolgt. Eine SVHC-Kandidatenlistung führt gerne in die REACH-Autorisierung/Zulassung und was das bedeutet, davon kann die Galvanikindustrie gerade ein Lied singen. Als eigentlich nicht betroffener „Beifang“ ist diese Industrie mit der von ihr benötigten Ausgangschemikalie Chrom(III)-oxid bei der Regulierung des zu regulierenden Chrom(VI) in diesem Prozess gelandet, obwohl auf den verchromten Erzeugnissen kein Chrom(VI) vorhanden ist, das man regulieren müsste.  

Die Zulassung unter REACH ist für die Verwendung einer Chemikalie die letzte Möglichkeit, diese in der EU industriell verwenden zu dürfen. Gelingt dies nicht, ist die Verlagerung der Produktion ins Nicht-EU-Ausland die einzige Chance für EU-Unternehmen weiter produzieren zu können. Allein die EU-Automobilindustrie braucht ca. 18.000 verschiedene verchromte Baukomponenten, die dann nur durch Importe aus dem Nicht-EU-Ausland zu bekommen sind. Das jüngst eingereichte Zulassungsdossier von Chrom(III)-oxid bei der ECHA umfasst über 1.000 Seiten. Was wäre für die EU und vor allem für die Umwelt gewonnen, wenn Jobs verloren gehen, Produkte unter fragwürdigen Bedingungen außerhalb der EU produziert werden und ganze EU-Wertschöpfungsketten in Gefahr geraten, zerstört zu werden?  

REACH ist eine hochkomplexe Mischung aus Chemie, Technologie, Toxikologie und Jura.  Allein aus dieser Kombination wird der Personenkreis äußerst übersichtlich, der sich überhaupt damit beschäftigen möchte. Das Verständnis über die Wirkung all dessen, was gerade im EU-REACH/CLP & Co. Hyper-Regulierungsmodus beschlossen wird, bleibt selbst den meisten Ökonomen daher verschlossen. Selbst die wirklichen REACH-Experten haben kaum noch den Überblick, welche der derzeit explosionsartig wachsenden Stoffeinstufungen, Regulierungen, Verbote und Initiativen, welche komplexe Folgen für Industrie, Gesellschaft, Umwelt und Verbraucher wirklich hervorrufen.

Hierzu ein Beispiel: Im Jahr 2016 musste von den deutschen Bundesländern ein Ausnahmesystem für Deutschland installiert werden, denn es wurde im Vorfeld von den Treibern der Umweltgesetzgebung nicht bemerkt, dass eine REACH/CLP Entscheidung zur Naturchemikalie Formaldehyd eine grundlegend wichtige nationale Rechtsfolge in der TA-Luft und damit einen nicht einhaltbar niedrigen Grenzwert auslöste. Die Folge hätte das Abschalten der gesamten deutschen Industrie, nebst aller Biogasanlagen, vieler Lebensmittelproduktionen etc. erforderlich gemacht.

Das neue EU-Stoffrecht ist ein fortwährender Lern- und Verbesserungsprozess und bedarf ständiger Überprüfung, ob seine Werkzeuge überhaupt passend sind. Eine gravierende Folge von REACH ist für die europäische Industrie nach dem Ende der teuren Stoffregistrierpflicht am 31. Mai 2018 schon jetzt zu erkennen: der schleichende Wegfall chemisch erzeugter Spezialrohstoffe. Auch dieses von REACH induzierte Problem wird, obwohl schon lange vorhergesagt, noch immer weitgehend unterschätzt.

 

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