Farbstoffkrise: Steht die EU-Automobilproduktion bald still?

Der aktuelle weltweite Verbrauch an Farbstoffen kann momentan nicht mengendeckend nachproduziert werden. Die Preise befinden sich im Höhenflug und die Belieferung der textilen Wertschöpfungskette ist ungewiss. Die textilen Farbstofflieferanten sprechen von einer noch nie dagewesenen Situation.

So ist bereits auch der europäische Automobilverband (ACEA) durch die Textiler von der Entwicklung in Kenntnis gesetzt worden, denn durchschnittlich befinden sich 23 Kilogramm Textilien in einem Automobil – nicht wenige davon mit hochlichtechten, anthrachinoiden Farbstoffen gefärbt. Bei diesen Spezialrohstoffen ist die Not mitunter am größten, denn der Rohstoff Anthrachinon ist sehr knapp. Ziel ist es daher, sollte die Entwicklung andauern, vor allem drohende Produktionsstillstände in der Automobilindustrie zu vermeiden. Dieser Sektor steht beispielhaft für alle textilen Sektoren mit ihren verbundenen Wertschöpfungsketten, die auf hunderte von verschiedenen Spezialfarbstoffen angewiesen sind.

Angeheizt wird die aktuelle Preisentwicklung vor allem durch einen Mangel an spezifisch für die Farbstoffproduktion benötigten Rohstoffen und Zwischenprodukten und hier steckt die Verbindung zum Thema REACH, dem neuen Chemikalienrecht in Europa. Die aktuelle Verschärfung der Farbstoffkrise von 2013 geht einher mit der finalen REACH-Registrierfrist am 31. Mai 2018.

Über Jahre verschärfte REACH die Lage zunächst im Falle der Farbstoffproduktion in Europa. Es waren die unbezahlbar teuren REACH-Registrierkosten, die für tausende Farbstoffe und Zwischenprodukte fällig gewesen wären, die im letzten Jahrzehnt den Chemiesektor aus Europa nahezu ganz in die Verlagerung nach Asien gedrängt hat. Einher ging dies auch mit der Steigerung der globalen Umweltverschmutzung in China und Indien. So wurden saubere EU-Produktionen durch Produktionen in Asien ersetzt, die aufgrund der ausufernden Umweltverschmutzung nun per Regierungsdekret aus Peking und Neu-Delhi geschlossen werden.

Diese ganze Entwicklung hat nun dazu geführt, dass Europa, wie in vielen anderen Sektoren auch, in Sachen Farbstoffe weitgehend von Asien und vor allem von China abhängig ist. Eine große Wiederansiedelung dieser Industrie in der EU ist aufgrund des REACH-Systems und dessen Kosten so gut wie ausgeschlossen. Auch das dazu nötige Farbstoff-Know-how ist weitestgehend aus der EU verschwunden.

Aktuell verschärft REACH die Lage für die Textiler in Europa noch zusätzlich: Mit dem Ende der REACH-Registrierfrist am 31. Mai 2018 ist es zu einer großen Marktmonopolisierung bei REACH-registrierten Farbstoffen im EU-Markt gekommen, die die Preise zudem weiter in die Höhe treibt.

Ein weiteres Problem: Durch die REACH-Registrierung gibt es einen massenhaften Wegfall von nicht registrierten Spezialrohstoffen, darunter wiederum viele Spezialfarbstoffe, denn nicht mal die Hälfte der erwarteten Stoffregistrierungen wurden aufgrund der hohen Kosten in der EU-vorgenommen! Damit gilt für diese Stoffe ab 1. Juni „No Data-No Market“, sprich diese Stoffe dürfen nicht mehr in der EU produziert oder importiert werden. Die Auswirkungen dieser alle EU-Industriesektoren betreffenden „Rohstoffschonkost“ wird man dann sehen, wenn die noch vorhandenen Lagerbestände dieser Stoffe verbraucht sind.


War die Entwicklung bei den Farbstoffen vorhersehbar?

Seit Jahren bearbeiten die Verbände Südwesttextil und VTB das Thema REACH und Farbstoffe sehr intensiv. Die Präsidenten und Hauptgeschäftsführer beider Verbände warnten im Sinne der Mitgliedsbetriebe immer wieder vor den Nebenwirkungen des neuen EU-Chemikalienrechts, die vor allem die Nachverwender-Industrien dieser Stoffe und Rohstoffe treffen. Ausdruck dieser Besorgnis war das im Jahr 2014 gemeinsam von Südwesttextil, dem VTB und anderen textilen Landes- und Fachverbänden ins Leben gerufene Farbstoffkompetenznetzwerk.

Wie sich die aktuelle Farbstoffkrise auf die Textilindustrie auswirkt, trug Arved Westerkamp, Geschäftsführer des Südwesttextil-Mitglieds Rösch/Rökona aus Tübingen, in seiner Rede beim REACH-REFIT-Kongress am 11. Juni in Brüssel vor. Das mittelständische Textilveredlungsunternehmen erlebt wie viele Textilveredler in der EU täglich, wie sich die abstrakten Entscheidungen einer „Brüssler Bürokratie“ und einer Chemikalienbehörde in Helsinki in der Praxis einer sehr komplexen und globalen Lieferkette auswirken.

Am Beispiel der Farbstoffindustrie zeigte der sich seit Jahren eingehend mit der REACH-Thematik beschäftigende Westerkamp dezidiert die Wirkungen auf, die durch REACH befördert, in Zukunft eintreten werden. Hier die Kernbotschaften aus seiner Rede:

  • REACH hat Ungleichgewicht geschaffen
  • Nach 10 Jahren REACH kein Nachweis, dass sein Ziel erreicht wurde
  • REACH hat mehr Nachteile gebracht, als Vorteile
  • Immer weitere Monopolbildung
  • Herstellung von Textilfärbemittel wurden vollständig nach Fernost verlagert wegen REACH, Abhängigkeit von ostasiatischen Ländern
  • REACH führt zur vollkommenen Deindustrialisierung der EU
  • Wir importieren im Ausland schmutzig hergestellt Produkte in die EU
  • REFIT wird benötigt, bei der auch die KMUs eine Stimme erhalten
  • Die Ziele wurden nicht erreicht, ausufernde Bürokratie, Verlust von Arbeitsplätzen und Innovation, Monopolbildung


Bei REACH-REFIT überprüft die EU-Kommission im Turnus von fünf Jahren die Zielerreichung von REACH. 2018 war es wieder soweit und der Kommissionsbericht – vor allem die hunderte von Seiten von REFIT-Hintergrundberichten – wurden von Südwesttextil und dem VTB ausgewertet. Die Inhalte der REFIT-Hintergrund-Dokumente waren nicht nur für Textiler und andere mittelständisch geprägte Industrien sehr aufschlussreich, sondern widersprechen weitgehend der offiziellen Darstellung der EU-Kommission über den Zustand von REACH.

So kam es nach viel Eigenlob in Sektion 1 der ECHA, der EU- Kommission und des Systems REACH in den nachfolgenden 4 Sektionen des REFIT-Kongress zu einem regelrechten Showdown der REACH-Kritik.
Die Kritik an REACH, das auch nach zehn Jahren laut REFIT-Bericht für die Kommission keine Verbesserungen aufzeigen kann, war von vielen Seiten erstmals äußerst ungefiltert und im Gegensatz zur EU-Kommission fachlich fundiert. Von Gewerkschaften bis zur europäischen Mittelstandsvereinigung UEAPME, die mit ihrem REACH-Experten Dr. Susnik ebenfalls einen sehr bemerkenswerten Vortrag hielt, war der Tenor noch nie so vielschichtig kritisch. Susniks Vortrag, der insbesondere die REACH Registrierungskosten und Monopolisierungsfolgen genau betrachtete, gipfelte in dem Aufruf, dass wenn die KMUs mit REACH in der EU abgeschafft werden, dies dann bitte die EU-Kommission auch in einem offiziellen Statement so verlautbaren soll. Die EU-Kommission war vom Verlauf des Events sichtlich überrascht und wohl auch getroffen. Es blieben an diesem Tag viele Fragen seitens der EU-Kommission unbeantwortet.

Am Ende des Events und der äußerst kritischen Sektion 5 des Kongresses, die mit Arved Westerkamps Rede ihren Abschluss fand, wurden keine weiteren Diskussionen aus dem etwa 120 Personen starken Auditorium mehr zugelassen. Der offizielle Grund hierfür war angeblich Zeitmangel, denn die EU-Kommission wollte an diesem Tag in Brüssel pünktlich Schluss machen. Doch genau diese Zeit fehlte für eine Abschlussdiskussion, die viele Teilnehmer gerne geführt hätten.

Vogel-Strauß-Verhalten bei der EU-Kommission angesichts dieser Verwerfungen, die das REACH-System generiert? Das weitere „Schönfärben“ von REACH ist fatal, denn der globale Wirtschaftswettbewerb wird die EU-Unternehmen ohne Rücksicht bestrafen. Der EU rennt die Zeit weg, und REACH droht wie von vielen vorhergesagt, zum Desaster für die EU zu werden.

Kritik allein zählt nicht! So hat der Gesamtverband t+m in Berlin als auch die EURATEX zum REACH-REFIT-Event Positionspapiere mit Lösungsvorschlägen erstellt. Doch die Farbstoffkrise ist ein REACH-Fanal! Nun ist auch Berlin und Paris gefragt um eine EU-Kommission, die schon die Neuwahlen 2019 im Auge hat, noch vor der Sommerpause in dieser Thematik auf einen anderen Kurs zu bringen.

Foto: © iStockphoto/oatawa

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