NaturalFIBER BW
– Warum dieses Projekt?

„Ändert sich nichts, ändert sich alles.“1 – Die Folgen des voranschreitenden Klimawandels, der dramatische Verlust an Biodiversität und die Verschmutzung von Luft, Wasser und Böden erfordern einen tiefgreifenden Wandel unserer Gesellschaft und Wirtschaft hin zu einer klimaneutralen, ressourcenschonenden und abfallvermeidenden „Green Economy“.
Wir überschreiten die ökologischen Belastungsgrenzen unserer Erde2 vielfach und drohen sie damit aus dem Gleichgewicht zu bringen. Schnelles und konsequentes Handeln ist erforderlich, um den Klimawandel noch auf ein beherrschbares Maß zu begrenzen und die vielen weiteren ökologischen Herausforderungen zu bewältigen.

Der Änderungsdruck ist erheblich. Nur gemeinsam und mit vielen einzelnen Maßnahmen in allen Wirtschaftsbranchen kann der Wandel gelingen. Mit NaturalFIBER BW bringt sich die AFBW in den Transformationsprozess der Textilindustrie und Landwirtschaft ein und setzt auf die Intensivierung des Anbaus, der Weiterverarbeitung und Nutzung von Naturfasern in Baden-Württemberg.
Hier stehen wir noch ganz am Anfang. Naturfasern wie Hanf, Flachs, Hopfen oder Brennnessel werden in Baden-Württemberg bisher nur in kleinen Mengen angebaut. Die Weiterverarbeitung und Anwendung übernehmen einige wenige Nischenanbieter. Es fehlt ein aktives Netzwerk entlang der naturfaserbasierten Wertschöpfungskette, das die Potenziale sieht und entfalten will. DARUM haben wir NaturalFIBER BW auf den Weg gebracht.


1 Katharina Rogenhofer und Florian Schlederer, "Ändert sich nichts, ändert sich alles": Wir müssen endlich handeln
2 Steffen et al. 2015

NaturalFIBER BW – Vision und Zielsetzung

Unsere Vision ist die breite Etablierung von Naturfasern in Baden-Württemberg – vom Anbau über die Verarbeitung bis zur Anwendung. Baden-Württemberg wird Beispielland in diesem Zukunftsfeld und versteht es, den ressourcenbezogenen Strukturwandel als Innovationstreiber zu nutzen.

Unser Ziel ist es, Akteure entlang der gesamten (natur)faserbasierten Wertschöpfungskette für den Anbau und die Nutzung von Naturfasern im Land zu begeistern und damit neue wirtschaftliche Ökosysteme in Baden-Württemberg zu entwickeln. NaturalFIBER BW will zum Umdenken und Handeln bewegen und nachhaltige Veränderungen in der Landwirtschaft und der faserbasierten Industrie in der Region anstoßen.

Konkret und im Detail
NaturalFIBER BW zielt auf …

  1. die strategische Entwicklung unterschiedlicher Technologie- sowie Marktfelder im Bereich Naturfasern
  2. die Entwicklung ressourcenschonender Produktionssysteme und innovativer Verarbeitungsprozesse
  3. die intelligente Vernetzung von Stoffströmen und Verarbeitern entlang der Wertschöpfungsketten
  4. die dauerhafte Verringerung der Abhängigkeit von Energie- und Rohstoffimporten
  5. die Stärkung der ländlichen Räume als auch der Textilindustrie in Baden-Württemberg durch regionale Wertschöpfung und innovative bioökonomische Lösungsansätze
  6. ein Baden-Württemberg, das ein Beispielland für die Transformation hin zu einer nachhaltigen, ressourcenschonenden Wirtschaftsform wird.
Projektbausteine – Ins Handeln kommen

NaturalFIBER BW initiiert und realisiert eine neue Kooperations- und Innovationsplattform, die auf die speziellen Bedürfnisse der jeweils kooperierenden Branchen für den Anbau und die Nutzung von Naturfasern entlang der faserbasierten Wertschöpfungskette inklusive der Landwirtschaft zugeschnitten ist.

Aufgaben und Arbeitspakete

  1. Information und Kommunikation
    Aufbau einer Online-Plattform als Kommunikator und Wissensgeber zum Thema Naturfasern
    • Wissen finden und weitergeben, Know-how vernetzen, Erfahrung austauschen
    • Leistungen: Naturfaser-Wiki, FAQ’s zu Naturfasern, Chatbot für erste einfache Fragen, Online-Sprechstunde
  2. Vernetzung von Räumen, Branchen und Sektoren
    Identifikation von Querschnittshandlungsfeldern und Synergieeffekten
    • Vorhandenes Wissen branchen- und sektorenübergreifend bündeln und ausbauen.
    • Leistungen: Match-Making von Textilindustrie und Landwirtschaft; Impulse für neue Anbau- und Verarbeitungsmöglichkeiten sowie neue Endprodukte
  3. Förderung ökologischer Innovationen und technologischer Souveränität
    Fokus auf Kollaboration als entscheidenden Erfolgsfaktor für bioökonomische Innovationen
    • Technologische Souveränität im Bereich Anbau und Nutzung von Naturfasern für Baden-Württemberg sichern
    • Erschließung von Naturfasern als nachwachsende und recycelfähige Rohstoffquellen
  4. Hemmnisse und Verständigungsschwierigkeiten überwinden
    Bereitstellung eines Kommunikators, um Verständigungsschwierigkeiten und Innovationshemmnisse zwischen Akteuren zu überwinden
    • Angebot des AFBW Telefons: Abfrage von Informationen, Beratung durch die drei Projektpartner
  5. Kooperation
    Intensivierung der Kooperationsaktivitäten, um gegenseitig von Stärken und Kompetenzen zu profitieren
    • Erschließung neuer Kooperationsfelder
    • Zielgerichtete Umsetzung von Ideen, Schaffung von Synergien
Naturfasern – Wertschöpfung mit Zukunft

Naturfasern umfassen neben den bekannten Arten wie Baumwolle, Flachs und Hanf eine breite und vielfältige Palette weiterer Fasern, die es zu entwickeln gilt. Dazu gehören u.a. Hopfen, Lavendel, Brennnessel, Silphie, Hirse, Stroh, Miscanthus (Elefantengras) oder Paludikulturen (z. B. Schilf). Sie bieten großes Potenzial, um die Verwendung fossiler Brennstoffe für die Fasererzeugung zu reduzieren.

Nachwachsende Rohstoffe und deren Bestandteile sind wahre Multitalente in der stofflichen Nutzung und bereits in vielen Alltagsprodukten enthalten. Sie besitzen vielfältige funktionale Eigenschaften und sind nicht bloßer Ersatz fossiler Rohstoffe. Dies gilt es zu erkennen und auf weitere ökologische Aufgabenfeldern zu übertragen. Insbesondere in der umweltgerechten Produktion und bei der Ökobilanzierung bieten Naturfasern viele Vorteile, die mehr und mehr Beachtung in der Industrie finden.

Naturfasern gelten heute –z. B. in der Automobilindustrie – als preisgünstige und umweltverträgliche Leichtbauwerkstoffe. Ihre Erzeugung und Bereitstellung erfordern deutlich weniger Energie als die von Glas- und synthetischen Fasern. Durch die Bindung von 1,5 kg CO2 pro kg Faser gelten sie als Kohlendioxidspeicher und -senke. Mit einem Heizwert von ca. 17 MJ/kg eignen sie sich für die Kaskadennutzung.

Dennoch liegen Anbau und Verarbeitung von Faserpflanzen in Deutschland und Baden-Württemberg auf sehr niedrigem Niveau. Gegenüber den klassischen Anbauländern Frankreich, Belgien und den Niederlanden mit Anbauflächen zwischen 70.000 und 100.000 ha/a3 liegt Deutschland weit zurück. Dieser gebremsten Entwicklung stehen aktuell vielfältige Forschungsaktivitäten im Bereich Naturfasern mit zahlreichen öffentlichen Projekten gegenüber.


3 https://www.sachsenleinen.de/naturfasern-in-deutschland

Standort Baden-Württemberg – Voraussetzungen, die passen

Für eine prosperierende Naturfaser-Plattform in Baden-Württemberg sind die Voraussetzungen gut:
Deutschland als Weltmarktführer bei technischen Textilien und insbesondere Baden-Württemberg mit seiner ausdifferenzierten und leistungsfähigen Textilindustrie über alle Wertschöpfungsstufen hinweg sind für das Vorhaben bestens aufgestellt.

Baden-Württemberg verfügt über starke Anwenderindustrien, die nach neuen, recyclefähigen Materiallösungen, nach mehr Rohstoffsicherheit und nach resilienten Wertschöpfungsketten auf der Suche sind. Eine erfahrene verarbeitende Industrie und leistungsstarke Forschungslandschaft im Bereich Naturfasern stehen mit den Forschungsinstituten in Denkendorf und Hohenstein und der Universität Hohenheim ebenfalls bereit.

Gleichzeitig ist Baden-Württemberg ein starkes Agrarland, dessen eher kleinteilige Flächen (im Gegensatz zu den Anbaugebieten im Osten) von flexiblen, landwirtschaftlichen Betrieben geführt werden.

Die Flexibilität, Anpassungsbereitschaft und Innovationsfähigkeit der Landwirte stellte bereits ein schwäbischer Bäckereibetrieb unter Beweis. Dieser suchte die Kooperation mit Landwirten, um spezielle Urkörner anzubauen, um daraus neue Brotsorten zu kreieren. Nach diesem Prinzip kann auch der Anbau von Naturfasern neu initiiert werden.

Vernetzen und Verbinden – Aufbau neuer Wertschöpfungsketten

Um den ökologischen Strukturwandel zu bewältigen, ist Zusammenarbeit und Austausch auf allen Ebenen gefragt. Hier setzt NaturalFIBER BW an und bringt die Akteure und Start-ups entlang der Innovationspipeline (natur)faserbasierter Werkstoffe und Technologien zusammen. Ziel ist ein aktives Netzwerk und Ökosystem mit vorwiegend regionalen, aber bei Interesse auch nationalen und internationalen Akteuren im Bereich Naturfasern.

Dazu gehören landwirtschaftliche Betriebe, die sich mit Anbau und Ernte auseinandersetzen, Unternehmen der Aufbereitung der Pflanzenmasse und der faserbasierten Industrie, aber auch Abnehmer faserbasierter Produkte aus anderen Industriezweigen, Forschungsgruppen an Universitäten, Hochschulen, andere Forschungseinrichtungen sowie Start-ups.

Nur gemeinsam und in engem Austausch können neue ressourcenschonende Produktionssysteme entwickelt und die intelligente Vernetzung von Stoffströmen und Verarbeitern entlang der Wertschöpfungsketten angestoßen werden. NaturalFIBER BW schafft für den Bereich Naturfasern den Rahmen für die Kooperation und eine zielführende, effiziente Zusammenarbeit.

So entstehen neue Wertschöpfungsketten und -netze, die eine Vielzahl möglicher Zulieferer-Abnehmer-Verknüpfungen von konkreten Unternehmen hervorbringen und den Wandel vorantreiben. Für diesen Veränderungsprozess bedarf es der aktiven Gestaltung, einer vorausschauenden Koordination und der Entwicklung einer übergeordneten Strategie, die AFBW für das Projekt verantwortet und einbringt.

Einsatzbeispiele – Ideengeber mit Perspektive

Ideengeber mit Perspektive – das sind für die industrielle Nutzung von Naturfasern insbesondere Naturfaserverbundstoffe, sogenannte NFCs (Natural fiber composites). Sie bestehen aus Naturfasern als Verstärkungsmaterial und biobasierten oder synthetischen Polymeren als Matrix.

Für ihren verstärkten Einsatz in der Industrie gibt es gute Gründe:

  1. Nachhaltig – Naturfasern werden aus erneuerbaren Ressourcen gewonnen, sind kohlendioxidneutral und können die CO2-Emissionen von Verbundwerkstoffteilen im Vergleich zu Glasfaserteilen um 60-80 % reduzieren. Darüber hinaus sind sie biologisch abbaubar und am Ende ihrer Lebensdauer recycelbar.
  2. Leicht und sicher – Naturfasern haben fast die Hälfte der Dichte von Glasfasern; sie sind sicher in der Handhabung (erfordern keine PSA) und greifen die Maschinenteile bei der Verarbeitung nicht an.
  3. Leistungsfähig – Naturfasern haben spezifische Zugeigenschaften, die denen von Glasfasern entsprechen; gleichzeitig haben sie eine höhere Wärme- und Schalldämmung als Glas- und Kohlefasern.

Daraus ergeben sich Anwendungsideen in vielen Bereichen:

        

Im Automobilsektor sind NFCs bereits seit vielen Jahren für Türverkleidungen, Kofferraumauskleidungen, Hutablagen, Dachhimmel und Instrumententafeln im Einsatz. In jüngster Zeit haben Unternehmen wie Porsche und McLaren in Zusammenarbeit mit Bcomp Versuche unternommen, NFCs auch für Karosserieaußenverkleidungen und Strukturteile wie Sitzrahmen einzusetzen.

Im Baubereich wurden im Sommer 2021 zwei Verbundpavillons aus NFC hergestellt und eine komplette Gebäudefassade aus Hanf und biobasiertem Epoxidharz.1


1 Natural fiber composites – a practical guide for industrial utilization, Mohamad Midani, Ph.D. and Ms. Lobna A. Elseify February 24, 2022

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